Interview Dr. Diethard Leopold mit ehemaligen Mitgliedern der Muehl-Kommune und Mitbegründern der Initiative
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Wer sind Sie und worum geht es Ihnen?

Wir sind eine Gruppe ehemaliger Mitglieder der von Otto Muehl gegründeten Kommune Friedrichshof. Vor sieben Jahren haben wir uns zusammengefunden um gegen dasKonzept einer Ausstellung in Wien zu protestieren.

Das Museum für angewandte Kunst(MAK), wollte in einer Retrospektive im Frühjahr 2004 unter dem Titel: „Otto Muehl –Mein Leben ein Kunstwerk“ die Kommune Friedrichshof als Muehls Kunstwerkpräsentieren. Da in der Kommune Friedrichshof über mehr als ein Jahrzehnt von OttoMuehl Unmündige und Jugendliche sexuell missbraucht wurden, sollten im Rahmendieser Ausstellung Muehls Verbrechen zur Kunst erklärt werden. In einer internationalen Pressekampagne und Aufklärungsaktion haben wir die Öffentlichkeitinformiert, da wir zwar eine Änderung des Ausstellungstitels erreichten, aber leider keinegrundsätzliche Veränderung des Ausstellungskonzeptes bewirken konnten.

Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Öffentlichkeit kritisch über Otto Muehl zu informieren, einer Mystifizierung von Muehl als angebliches Opfer der österreichischen Justiz entgegenzuwirken und zu verhindern, dass Muehls Verbrechen zur Kunst erklärt undausgestellt werden.

Was ist Ihre Kritik an Muehls Kunstverständnis? Wo ziehen Sie die Grenzen derkünstlerischen Freiheit?

Zunächst eine Vorbemerkung: Ein großer Vorzug der modernen offenen Gesellschaft ist, dass sie Kritik an sich selbst zulässt. Diese Aufgabe wurde schon immer den Kunstschaffenden zugeschrieben. Sie dürfen vorhandene Strukturen und gesellschaftliche Vorgänge kritisieren, bloßstellen und den Leuten Ihre Schwächen vorhalten.

Insofern erfüllt der Künstler eine wichtige Funktion, indem er Vorhandenes in Frage stellt und so zu Veränderungen beiträgt. Otto Muehl ist in den 70er Jahren einen Schritt weiter gegangen. Er hat versucht einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zu erstellen. Unter dem Motto „Kunst ins Leben“ wollte er die Utopie der idealen Gesellschaft formen. Sein Versuch, die Kommune Friedrichshof, endete nach fast 20 Jahren als eine von autoritärer Willkür bestimmten Sekte.

Muehl wurde wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger, Vergewaltigung und Drogenmissbrauch zu 7 Jahren Haft verurteilt. Wir sehen die Grenze der künstlerischen Freiheit, wenn Menschenrechte und im Fall von Muehl insbesondere Kinderrechte auf schwerwiegende Weise verletzt werden.

Man hört immer wieder die Meinung, Muehl sei überaus hart bestraft worden.

Bei Muehl ist es wichtig zu wissen, dass es sich bei seinen „Verfehlungen“ nicht um einzelne Ausrutscher mit 13-jährigen handelte, sondern um geplanten sexuellen Missbrauch. Um dies zu ermöglichen wurden die Kinder unter seiner Obhut von klein auf entsprechend sexuell konditioniert. Wenn Muehl – wie er mehrfach in den Medien äußerte – keine Einsichtüber seine Verbrechen zeigt, heißt es einfach, dass er für sich die Maßstäbe verschoben hat. Er stellt eigene gesellschaftliche Regeln auf, nach denen Missbrauch an Unmündigen und Minderjährigen kein Verbrechen ist und fragt in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitungvom 22.02.2004 „Warum sollte der Staat vorschreiben, ab wann man Sex haben darf“.

Sie werfen Teilen der Kunstszene vor, Muehl rehabilitieren zu wollen.

Da Otto Muehl sein Gesellschaftsmodell und damit auch seine Beziehung zu Kindern und Jugendlichen zur Kunst erklärt, ermöglicht dies ihm im Unterschied zu anderen Sektenführern gesellschaftlich rehabilitiert zu werden. Er beruft sich hierbei auf die Freiheit der Kunst und stellt seine Verurteilung als Justizirrtum und Diffamierung des Wiener Aktionismus dar. Dies ist völlig falsch.

Leider wird die Mythenbildung vom „Justizopfer Muehl“ von Teilen der Kunstszene unterstützt. So konnte Otto Muehl 2004 im MAK seine Sekte als „Utopie“ darstellen und im von Peter Noever (Direktor des MAK) herausgegebenen Katalog behaupten: „Hätte Kreisky noch gelebt, der der Kommune positivgegenüber stand, hätte vermutlich dieser Prozess nicht stattgefunden. Das Urteil wird sicherlich wieder revidiert vor oder nach meinem Tod“. Diese Haltung von Teilen der Kunstszene empört insbesondere viele der damaligenKommune-Kinder, die Muehl schutzlos ausgeliefert waren.

Ihre Kritik an Muehl wird auch von der FPÖ aufgegriffen.

Dies ist ärgerlich. Die Diskussion um Otto Muehl und seine Verbrechen sollte in der demokratischen Mitte, also von ÖVP, SPÖ und Grünen geführt werden. Nur so wird verhindert, dass das Thema Muehl von rechten Stimmungsmachern zur Rechtfertigung einer restriktiven Kulturpolitik missbraucht wird.

Was die SPÖ betrifft, so sind von der Muehl-Kommune viele teils hochrangige SPÖ Politikerkomplett getäuscht worden. Dies hat zur Unterstützung der Kommune in den 80er Jahren geführt. Diese Politiker glaubten tatsächlich, dass Muehl eine positive Sache macht. Sie ahnten nicht, dass Otto Muehl ein autoritäres System aufbaute, um seinen Machtrausch auf sexueller Ebene „auszuleben“. Wenn die SPÖ Politiker bemerkt hätten, was wirklich in der Muehl-Kommune passiert, sie hätten dies niemals unterstützt.

Otto Muehl war sehr geschickt darin, Öffentlichkeit und Politiker zu täuschen. Wir begrüßen es, wenn sich SPÖ und auch der heutige österreichische Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer für diese Fehlerentschuldigen und gegen eine Rehabilitierung des „Lebenswerkes von Muehl“ Stellungbeziehen. Dies nimmt der FPÖ in der Angelegenheit Muehl den Wind aus den Segeln.

Sie kritisieren, wie Museen und Galerien mit Muehls Kunst umgehen.

Ausstellungsmacher, die sich mit Muehl beschäftigen, werden vor ein Dilemma gestellt, und bisher haben sie sich entschlossen, die Augen zuzumachen und die für ihre Ausstellungen unbequemen Aspekte von Muehls Biographie auszublenden, abzumildern oder im Sinne von Muehl umzudeuten.

Dies sehen wir jetzt erstmals im Leopoldmuseum anders. Bei den verantwortlichenMitarbeitern des Museums erkennen wir das ernsthafte Bemühen, sich mit der Biographie Muehls und der sich hieraus ergebenden Problematik auch persönlich auseinander zusetzen. Wir wurden zu Gesprächen eingeladen, in denen wir ausführlich unsere Bedenken und Kritik erläutern konnten. In sehr offener Atmosphäre konnten wir unsere Meinungen austauschen und haben hierbei die Überzeugung gewonnen, dass es im Leopoldmuseum nicht zu einer unkritischen Würdigung des Lebenswerks von Otto Muehl kommen wird.

Ist die Kunst vom Leben des Künstlers zu trennen?

Bei Otto Muehl ist eine Trennung vom Leben des Künstlers und seiner Kunst nicht möglich. Muehl besteht darauf, dass sein Leben als Kunstwerk angesehen wird. Daraus folgt, dass Muehl die von ihm gegründete Kommune und somit seine Verbrechen gegenüber Kindern und Jugendlichen als Teil seines künstlerischen Schaffens ansieht. Insofern müssen Museen und Galeristen Stellung beziehen, wenn sie Kunstwerke von Muehl ausstellen. Ein Verschweigen der Verbrechen ist eine Stellungnahme zugunsten des Täters und somit eine Missachtung der Opfer.

Welche Kunstwerke von Muehl stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit seinenVerbrechen?

Von 1974 bis 1991 hat Otto Muehl Portraits und Darstellungen von Kindern und Jugendlichen gemalt und gezeichnet. Zum Teil sind die Dargestellten gut erkennbar, da es sich um Bilder aus der photorealistischen Phase von Muehl handelt. Die Titel der Bilder tragen oftmals den Namen der Missbrauchsopfer. Die missbrauchten Jugendlichen sind teilweise nackt und in sexuellen Posen abgebildet. Während der Entstehung dieser Bilder hat Muehl die Jugendlichen in seinem Atelier missbraucht. Für die Betroffenen stellt es eine schwere Kränkung dar, wenn diese Bilder öffentlich ausgestellt werden. In der Ausstellung im Leopoldmuseum werden solche Bilder dank unserer Hinweise nunmehr nicht öffentlich gezeigt werden.

Des Weiteren sind die sogenannten Aschebilder problembehaftet. Ende der 80er Jahre hat Otto Muehl Bilder gemalt, bei denen er auch Asche als Material verwendet hat. Diese Asche stammt aus dem Verbrennen vieler Tagebücher – auch künstlerischer Tagebücher – von Mitgliedern der „Kommune Friedrichshof“. Auf persönliche Anordnung von Muehl wurden diese Bücher verbrannt, um Beweise in seinem Strafverfahren zu vernichten. Die Vernichtung geschah ohne Wissen und Einverständnis der Betroffenen. Muehl hat das künstlerische Schaffen der Kommunemitglieder verbrennen lassen und aus der Asche seine Bilder hergestellt.

Im MAK wurde 2004 ein solches Aschebild unkommentiert ausgestellt. Wir fordern bei einer öffentlichen Ausstellung von Aschebildern einen ausführlichen Hinweis auf den Entstehungszusammenhang und die Herkunft der Asche. Im Leopoldmuseum befindetsich unserem Wissen nach kein solches Bild.

Was sollte ein Museum beachten, wenn es Kunstwerke von Muehl ausstellt?

Eine Muehl-Ausstellung sollte unserer Meinung nach Rücksicht auf die Opfer nehmen. Wir möchten verhindern, dass diese sich bei entsprechenden Lobesreden und -texten zum künstlerischen Werk Muehls gedemütigt fühlen, da Muehl unter seinem künstlerischen Werk auch die Kommune versteht, in der die Kindern sehr gelitten haben. Wenn ein Künstler seinen 85. Geburtstag feiert, wird in der Regel sein Lebenswerk geehrt. Das Lebenswerk eines Missbrauchstäters unkritisch zu ehren bedeutet eine Verhöhnung der Missbrauchsopfer. Die Verbrechen von Muehl dürfen nicht unter den Teppich gekehrtwerden.

Welchen Unterschied sehen Sie zu Künstlern wie Schiele und Caravaggio, denen auch Verbrechen nachgesagt werden?

Weder Schiele noch Caravaggio erklären ihr Leben zum Kunstwerk. Egon Schiele, mit dem sich Muehl gerne vergleicht, saß wegen einer vergleichsweise völlig harmlosen Angelegenheit, die überdies ein Justizirrtum gewesen zu sein scheint, einige Wochen im Gefängnis, im Gegensatz zu Otto Muehl, der wegen schwerer Verbrechen in seiner„Kunstkommune“ zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.

Sollte man in Anbetracht der Biographie von Muehl überhaupt seine Werke ausstellen?

Wir haben immer die Auffassung vertreten, dass ein Künstler, auch wenn er Verbrechen begangen hat, seine Kunstwerke ausstellen darf, solange nicht seine Verbrechen als Kunstwerk dargestellt werden. In unserer Gruppe vertritt inzwischen ein Mitglied die Meinung, dass mit Rücksicht auf die Opfer dem Täter Muehl, solange er seine Verbrechen in keiner Weise bereut, keine Ausstellung und somit Anerkennung im öffentlichen Raum zugestanden werden sollte. Diese sehr persönliche Auffassung ist sicherlich nicht umsetzbar. Wir möchten diesem Gedanken allerdings auch Raum geben.

Wie kann man sich über Ihre Arbeit informieren?

Auf unserer Website www.re-port.de informieren wir über unserer Arbeit und veröffentlichen kritische Informationen über Otto Muehl unter anderem mit Berichten von Betroffenen. Wir halten es für wichtig, dass die Besucher der Muehl Ausstellung im Leopoldmuseum auch Hinweise auf die Schattenseiten von Otto Muehl bekommen.